Totalitäre Körper-Kultur

Ein Jahrhundert Leistungssport

Mit „Totalitäre Körper-Kultur. Ein Jahrhundert Leistungssport“ legt der seit einigen Jahren in Thailand lebende habilitierte Kultur- und Sporthistoriker 2018 historisch-politisch nach.
Gleich zu Beginn belegt er, daß die olympische Geschichte Deutschlands durchgehend eine tragische ist. Die Rezeptur des Mussolinismus „Sportler sind Diplomaten im Trainingsanzug“, dieses simple Motto zieht sich wie ein Roter Faden durch diese Kulturkritik, weil damit letztlich immer aus dem natürlichen Menschen ein athletisches Material wurde.
Detailiert ist nachzulesen, daß diese Versportung mit einer Militarisierung parallel verlief: im faschistischen Italien, im nationalsozialistischen Deutschland, in der stalinistischen Sowjetunion und exemplarisch in der sog DDR.
In dieser bis heute weithin übersehenen Militärdiktatur entdeckt Kühnst mentalitätsgeschichtlich den ehemals idealtypischen HJ’ler Manfred Ewald. Der konnte als unumschränkter „Hausmeister“ nicht nur Siege und Medaillen vorweisen, die Hinterbliebenen, vor allem Athletinnen, sind Zeugen von Menschenversuchen, die den Vergleich mit denen im Dritten Reich herausfordern.
Im letzten Teil dieses gut illustrierten Buches ist von der „Ära Tröger“ die Rede – ein klebriges Stück bundesdeutscher Geschichte. In dessen restaurativen Milieu gab es nicht nur den medikamentösen Tod der Leichtathletin Birgit Dressel (1987), es gab die Vor- und Rückseite der Olympischen Spiele von München 1972, Experimente mit Doping und ehrenwerte Mahner und Kritiker und unehrenhafte Trainer, Funktionäre und fahrlässige Beamte und Parlamentarier.
Denkwürdig zitiert der Autor den Befund für diese Szenerie: Brigitte Behrendonk stellte fest, daß „intelligente junge Menschen nicht mehr für den Spitzensport zu gewinnen sind“.
Zudem gab es die Bewerbung um die Olympischen Spiele „Berlin 2000“. Ein beschwiegenes „Gesellenstück“ daß von Exponenten, dem Präsidenten des NOK in Frankfurt und einem Prof. für Sportgeschichte der Sporthochschule Köln, trotz des schmierigen Desasters schadlos überstanden wurde.

Kühnst spricht von drei Skandalverhältnissen, die im fauligen Innenleben des deutschen Sports vor sich hinblühen:
1. die hingenommene SS-Vergangenheit der Sportfunktionäre Willi Daume und Karlheinz Gieseler, die bis 1989 bzw. 1991 den deutschen Sport anführten.
2. die sorgfältig beschwiegene Olympiabewerbung „Berlin 2000“, den Tiefpunkt bundesdeutscher Sportpolitik.
3. die anzunehmende jahrzehntelange Manipulation der Zahl der Mitglieder des Deutschen Sportbundes (DSB).

Allein schon diese drei historisch-politischen Abgründe lassen den Leser in einem Wissen zurück, daß unser aller umjubelter Leistungssport ein zähes Stück Totalitarismus mit häßlichen Sitten ist.
Der Autor kommt schließlich zu dem Ergebnis, daß diese 100jährige Kulturgeschichte eine hochgezüchtete Körper-Kultur darstellt, die Formen von Folter aufweist, Praktiken des internationalen Menschenhandels betreibt und von verästelter Korruption und organisierter Kriminalität gekennzeichnet ist – im Grunde wie zu den rohen Zeiten der Antike.

Lit-Verlag 2018,    ISBN 978-3-643-13642-8 (br),  978-3-643-33642-2 (PDF)
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