Tempel der Körper

Eine Ketzerschrift

In diesem reich bebilderten Band, der sich in Teilen wie eine historisch-philosophische „Radtout für Hochbegabte“ liest, klingt ketzerisch die Botschaft an, dass es geboten ist, den Kult des Leistungssports neu zu denken, denn »Wir brauchen dringend ein paar Verrückte. Guckt euch an, wo uns die Normalen hingebracht haben.« George Bernhard Shaw

Wozu stoßen wir eine Eisenkugel in die Gegend, und das möglichst weit? Wieso flitzen wir, wie von Panik getrieben, 100, 200, 1.000 oder 5.000 Meter auf einer hergerichteten Bahn im Oval herum und ereifern uns über den, der zuerst ankommt, obwohl wir auch den Letzten feiern könnten? Was ist das Segenbringende in der weltweiten Pilgerkultur bei den Marathonläufern, wo sich noch so viele den Knorpel, die Bänder und die Gelenke zermürben? Und wozu paddeln wir so enthusiastisch in großen Aquarien hin und her? Was ist das alles für eine lebensbedrohliche Hingabe und Opferbereitschaft?
Peter Kühnst führt in seiner »Ketzerschrift« zum Kult des Leistungssports und des Olympismus dessen religiöse Elemente mit denen des Katholizismus zusammen und kann verblüffend vielfältige Gemeinsamkeiten aufzeigen: Die Architekturen, die Stadien, Hallen und Plätze weisen einen sakralen Charakter, den Sinn und die Form eines Kultplatzes oder einer Opferstätte auf, in denen sich gleich den Kirchen und Domen nach dem Außergewöhnlichen gesehnt wird. Die siegreichen Sportler, sie werden als Heroen und Apostel mystifiziert, und die Kaste der Sportfunktionäre weist Ähnlichkeiten mit den Hoheiten der Katholischen Kirche auf.
In der Umgebung sakraler Architektur dieses Sports existiert ein Zauber, bei dem aus dem traditionellen Glaube ein Staunen geworden ist, aus dem Gebet eine Bewunderung – beides, das Staunen und die Bewunderung sind der Untergrund des Religiösen.
Die Kehrseite dieses Kults hingegen, die sich nicht nur in dopinggeschädigten Athletinnen und Athleten oder überdimensionierten und ungenutzten Sporttempeln, wie z.B. denen von den Olympischen Spielen von Athen (2004) zeigt, die wird verdrängt und beschwiegen.

Kulturverlag Kadmos. Berlin 2015, ISBN (13) 978-3-86599-207-9